Berlins Nachwuchsveranstalter fordern öffentliche Freiflächen für Musik. Techno in der IHK

Die Industrie- und Handelskammer Berlin veranstaltet in Kooperation mit der Berliner Clubcommission und dem Verein Kulturersatz am 8. Juli im Ludwig-Erhard-Haus kostenlose Workshops für 200 junge Musikveranstalter aus ganz Deutschland, die im öffentlichen Raum eine Bühne für so genannte ‚Free Open Airs‘ suchen. Ein Lehrgang der besonderen Art. Denn Free Open Airs sind eigentlich illegal.

Wer im öffentlichen Raum eine Musikanlage aufstellen möchte, der braucht in Berlin eine Genehmigung – und steht damit vor einer überraschend schwierigen Aufgabe: 14 Unterlagen gilt es auszufüllen, die mit 10 verschiedenen Ämtern koordiniert werden müssen und mindestens 8 Wochen Bearbeitungszeit benötigen. Weil dieser Prozess so aufwändig ist, wird dem Aufstellen einer Musikanlage im öffentlichen Raum kein hinreichendes öffentliches Interesse bescheinigt. Es ist schlicht zu kompliziert, etwas so Unkompliziertes zu ermöglichen. Die Anmeldung wird abgelehnt, wer trotzdem auf Play drückt, macht sich strafbar. So schnell geht Subkultur.

Seit kurzem ist die Polizei auf Facebook auch immer stärker aktiv und weist mit solchen Postings darauf hin, dass Open Airs auf jeden Fall beendet werden, unabhängig davon, ob sich jemand beschwert oder nicht. Bisher war es immer so, dass ohne Lärmbeschwerde, diese Open Airs geduldet wurden, auch mit dem Hintergrund, dass sich Veranstalter und Beamte so langsam aber sicher bereits kannten.

Liebe Party-Freunde,
wir finden es toll, dass Sie eine Party im Freien organisieren. Zur professionellen Vorbereitung gehört aber auch, dass die Party im Freien genehmigt werden muss. Wir gehen davon aus, dass der Veranstalter dies beim Naturschutz- und Grünflächenamt erledigt hat, denn andernfalls werden wir die Veranstaltung leider auflösen müssen.
Ihre
Polizei Berlin

Angesichts steigender Raummieten und verschwindender Brachen zeigen immer mehr Experten Verständnis für die Probleme des kreativen Nachwuchses. Der Druck auf öffentliche Flächen wächst, für immer mehr und immer vielfältigere Bedürfnisse einen Freiraum zu bieten. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Professionalisierung der Berliner Clubs es jungen Kollektiven, die ähnlich wie in den 90ern die Zukunft des Berliner Musikbetriebes darstellen, immer schwerer macht, überhaupt Fuß zu fassen.

In sozialen Netzwerken wie Facebook gehört das Veranstalten von Events zu den Grundfunktionen der Interaktion. Jeder tut es, alle brauchen Raum dafür, nur wo? Bislang bleibt die Politik Antworten schuldig, wie man auf diesen Megatrend reagieren will. Dagegen formiert sich jedoch ein wachsendes Bündnis aus Kulturszene, Jugendarbeit, Freiraumplanung sowie einzelnen Akteuren aus Verwaltung und Politik, die im Dialog neue Konzepte zum Umgang mit Free Open Airs im öffentlichen Raum erarbeitet. „Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir können die preisliche Entwicklung auf dem Immobilienmarkt in Berlin komplett aufhalten und private Freiräume sichern. Oder wir verhandeln über den öffentlichen Raum als Ort, an dem Kultur – und speziell der kulturelle Nachwuchs – zukünftig noch stärker einen Platz finden muss.“, sagt Experte XY. „Weil wir uns der Antwort relativ bewusst sind, haben wir gefordert, auf 120 öffentlichen Freiflächen in Berlin die Nutzung für Free Open Airs zu ermöglichen. Um dafür die Voraussetzungen zu schaffen, bieten wie Nachwuchsveranstaltern schon jetzt Weiterbildungen an. Sie bekommen die rechtlichen Grundlagen verständlich erklärt, hören praktische Tipps zur Konfliktvermeidung von erfahreneren Kollegen und kommen ins persönliche Gespräch mit Entscheidungsträgern aus der Verwaltung.“

Frei heißt dabei: keine Anmeldung, keine Gebühren, volle Lautstärke und dennoch legal. Das hört sich utopisch an, wurde aber bereits von den Städten Halle und Bremen vorgemacht. Dort wurden öffentliche Grünflächen als Veranstaltungsorte für Free Open Airs ausgewiesen, eine Anmeldung ist seither nicht mehr nötig. Das Ergebnis ist überraschend: Ausgerechnet die Lärmbeschwerden von Anwohnenden gingen um über 80% zurück. „In Halle ist es gelungen, durch neue Angebote Free Open Airs auf Flächen zu lenken, wo sie keine Konflikte hervorrufen. Die Veranstalter bekommen neue Freiräume, die Anwohner profitieren ebenfalls und die Verwaltung wird gleich doppelt entlastet durch den gesenkten Bedarf an Antragstellungen und die verringerten Beschwerden.“
Die Open Air Kultur dieser Stadt ist inzwischen eine eigenständige wachsende Kraft geworden, die einen ganz speziellen Spirit wieder erweckt, der mit der zunehmenden Gentrifizierung der Innenstadt, schon darnieder lag. Berlin erweckte in der Vergangenheit, durch seinen leicht chaotischen und improvisierten Ansatz eine enorme Zugkraft für junge Menschen, und macht sich seit mehreren Jahren wieder daran, diese positive Kraft neu zu entfalten. Auch die Open Air Kultur professionalisiert sich, erschafft neue Veranstalter, neue Bars und Clubs, wird zum wichtigen Wirtschaftsfaktor innerhalb der Kreativwirtschaft Berlins. Sie ist der größte Pool an kreativem Nachwuchs für die weltweit geschätzte und Touristen anziehende elektronische Musikszene. So ist der Zug der Liebe ist aus einem Open Air Veranstalter Kollektiv hervor gegangen. Diverse Festivals in und rund um Berlin sind so entstanden. Wenn diese Entwicklung restriktiv bekämpft wird, schneiden wir uns ins eigene Fleisch, denn diese Open Air Kultur, hilft genau jenes Bild von Berlin am Leben zu erhalten, das wir weltweit vermarkten und uns auch für die junge Start Up Szene so attraktiv macht.

FREE OPEN AiR WORKSHOP
(Achtung: Einziger Termin 2016!!)

WORUM GEHT’S?
Als junge_r Musikveranstalter_in stehst Du oft vor dem Problem, keine Location zu finden, an der Du „einfach machen“ kannst. Die Wohnung ist zu eng, der Club zu teuer. Auf Deinen ersten Schritten zieht es Dich deshalb in Parks, auf Brachen oder in leerstehende Gebäude, wo Du unter dem Radar der Behörden versuchst, Dich auszuprobieren.
Wir wollen Dich dabei unterstützen.

INHALTE DES WORKSHOPS:
* Rechtsgrundlagen zu (nicht-angemeldeten) Musikveranstaltungen im öffentlichen Raum
* Praxistipps bei der Veranstaltungsplanung und -durchführung
* Kulturgeschichte illegalisierter Partys
* Party Politics: Was Free Open Airs mit ‚Recht auf Stadt‘ und ‚Jugendbeteiligung‘ zu tun haben
* Austausch mit Vertreter*innen der Verwaltung

DU BIST BEI DIESEM WORKSHOP RICHTIG, WENN…
* Du bereits einige Veranstaltungen organisiert hast aber Dein Grundlagenwissen – zu Recht, Veranstaltungsorga, politischen Zusammenhängen und Argumenten – schärfen und Dich mit anderen Veranstalter*innen vernetzen willst
* Du erst noch vorhast, eine etwas größere Party oder Veranstaltung zu organisieren und dich darauf vorbereiten willst.
+++ Der Workshop ist offen für Teilnehmende aus ganz Deutschland ++

SPEAKER:
Dimitri Hegemann (Tresor.Berlin (OFFICIAL) / Happy Locals)
Uri Moss (Mutoid Waste Company)
Philipp Schröder (HÄRTING Rechtsanwälte)
Thomas Scheele (Enter the Void – Appropriating Urban Spaces To Underground Youth Culture)
Vertreter*in der Verwaltung – tba.

PROGRAMM:
tba.

KOSTEN:
10€ (zzgl. Gebühren)

TICKETS:
https://shop.ticketscript.com/channel/web2/start-order/rid/854Q6E6D/language/de

VERANSTALTER_INNEN PASS:
Allen Teilnehmer_innen stellen IHK Berlin und Clubcommission Berlin einen VERANSTALTER_INNEN PASS aus. Dieser dient als Nachweis dafür, dass sich der/die Inhaber_in mit einer mündigen Durchführung von Veranstaltungen im öffentlichen Raum auseinandergesetzt hat.
Der Veranstalter_innen Pass ist kein „Führerschein“, er hat also keinerlei rechtliche Bindung. Vielmehr dient er dazu, Veranstalter_innen in Konfliktsituationen Rückhalt zu geben, um einen Dialog auf Augenhöhe zu führen und das breite Interesse an einer lebendigen Free Open Air Kultur auch von offizieller Seite zu belegen.

SUPPORT:
Der Free Open Air Workshop wird unterstützt von Clubcommission Berlin, IHK Berlin, Kulturersatz, dem EU-Projekt Enter the Void – Appropriating Urban Spaces To Underground Youth Culture und dem europäischen Förderprogramm Erasmus+.