Man muss in diesem Sommer eh jedes Indie-Festival feiern, das diese beschissene Pandemie-Zeit überstanden hat, aber das Orange Blossom Special in Beverungen ganz besonders. Am Pfingstwochenende – also vom 26. bis 28. Mai – findet nämlich im Garten einer dezent verrockten Gründerzeit-Villa zum 25. Mal ein Open-air statt, das einmal sehr treffend vom deutschen „Rolling Stone“ als „das beste kleine Festival der Welt“ bezeichnet wurde. Außerdem hagelte es in den letzten Jahren immer wieder ehrliche Liebesbekundungen wie zum Beispiel jene von Casper, der einmal rief: „Lang lebe das OBS!“ Oder AnnenMayKantereit, die sagten: „Wir haben uns in das Orange Blossom Special Festival verliebt!“
Aber nicht nur deutsche Acts, die das OBS zwischen zwei Arena- oder Rock-am-Dings-Konzerten die Ehre erweisen, lieben es. Chris Eckman von den Walkabouts meint zum Beispiel: „You can’t compare this to any other festival in the world.“ Und wer auch nur einmal mit den Macher:innen des OBS gefeiert hat, weiß eben auch, dass das OBS nicht umsonst den „Helga!“-Award in der Kategorie „Wohligstes Gewerkel (beste Arbeitsbedingungen und beste Arbeitsatmosphäre)“ gewonnen hat.
Das Line-Up in diesem so besonderen Jubiläumsjahr ist dabei wieder einmal ein perfekter Mix aus Indie-Held:innen, Underdogs mit Potential und musikalischen Herzbluttäter:innen. Da wären zum Beispiel die wundervollen Get Jealous, die das Festival auf der Hauptbühne mit ihrem queeren Pop-Punk mit Grunge-Einschlag eröffnen werden. Außerdem dabei: Gisbert zu Knyphausen, Moses Schneider und Der dünne Mann alias Husten. Weil diese zwei Namen immer schon auf einem Plakat stehen sollten und weil ihr deutschsprachiger Kraut-New-Wave-Post-Punk so hypnotisch ist, spielen nicht nur Husten sondern auch Kratzen. Längst kein Geheimtipp mehr ist Philine Sonny mit ihrem melancholischen, poetischen Indie-Sound, der allen gefallen dürfte, die auch Phoebe Bridgers zu Füßen liegen. Internationale Folk-Größe bringt Lera Lynn auf die Bühne, deren Song „The Only Thing Worth Fighting For“ alle im Herzen tragen, die seinen Einsatz in der die HBO-Serie „True Detective“ gesehen haben. Für die euphorischen Arme-in-die-Luft und Bier-in-den-Hals-Momente sorgt dann Thees Uhlmann mit seiner Band. Das komplette Line-Up gibt’s am Ende dieses Textes.
Aber man kann ja immer viel promoschreiben in einem Promoschreiben. Fakt ist – und das weiß der Autor dieser Zeilen aus eigener Erfahrung: Wer auch nur einmal in diesem Garten in Beverungen stand, wird dieses Gefühl nicht mehr vergessen. Es ist eine Mischung aus Euphorie und Angekommen-Sein. Es ist die Szenerie, die viele vom Aufwachsen auf dem Dorf kennen – vor der sie aber einst geflüchtet sind, weil man die Gleichgesinnten in diesen Gärten und auf diesen Grillfesten an einer Hand abzählen konnte. Hier ist das anders: Zwischen Kaffee und Kuchen, Grillbuden und Biertheken, die man beim örtlichen Festzeltverleiher besorgt, spielen all jene Bands, für die man später näher an die große Stadt ziehen wollte, stehen die Leute aus der Stadt oder den Nachbardörfern, mit deren Plattensammlung man sich arrangieren könnte. Und man spürt die Aura dieses Ortes, der auch ein Stückweit deutsche Indie-Geschichte geschrieben hat: Das Label Glitterhouse Records (und der zugehöre Mailorder-Service) sorgte dafür, dass man in Deutschland die Platten von Sub Pop bekam, machte Americana salonfähig und hatte in den letzten Jahren ein paar der spannendsten deutschsprachigen Gitarrenbands im Artist Roster: Die Nerven veröffentlichen dort zum Beispiel ihre Alben, zuletzt erschien mit „Risiko“ das fantastische dritte Album von Steiner & Madlaina aus der Schweiz.
In dieser Geschichte liegt auch der Ursprung des OBS. Durch die Label-Arbeit stoppten in Beverungen immer wieder internationale Bands. Im Sommer 1996 zum Beispiel die Amerikaner der Go To Blazes. Da wurde dann im Garten getrunken, gegrillt – und irgendwann musiziert: Die Band holte ihre akustischen Instrumente aus dem Tourbus und spielte ein paar Stunden. „Lass uns das einfach öfter mal machen“, sagte darauf Glitterhouse Co-Gründer Rembert Stiewe zu seinem Kollegen Reinhard Holstein. Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Schnapsidee, aus der das Orange Blossom Special entstehen – und bis heute bestehen sollte.
Das komplette Line-Up:
A.S. FANNING / ACCIDENTAL BIRD / AFRODIZIAC / CHRISTINA BACHER / DENIZ & OVE / FIRE HORSE / GET JEALOUS / GREGOR McEWAN / HERRENMAGAZIN / HOTEL RIMINI / HUSTEN / KRATZEN / LERA LYNN / LIGHTNING JULES / LOVE’N’JOY / MALVA / ODD COUPLE / PALILA / PHILINE SONNY / SAITÜN / SCHRENG SCHRENG & LA LA / Surprise Act (?) / THE DESLONDES / THE HAUNTED YOUTH / THEES UHLMANN & BAND / THUMPER / TINY WOLVES / WHISPERING SONS / WREST
Foto Credits: shirley_holmes_OBS 2022_Foto Peter Schickert