Die neue Single von KOLLEKTIV TURMSTRASSE – DISTANT LOVE klingt wie eine Kombi aus Bicep und Moderat. Und sie ist echt schön geworden.
Kollektiv Turmstrasse hat als einer der erfolgreichsten deutschen Liveacts der elektronischen Musik den internationalen Techno-und Housesound geprägt. Mit regelmäßigen musikalischen Richtungswechseln und stillistischer Weiterentwicklung beweist der Musiker, dass Wandel Fortschritt bedeutet. Denn ihm gelingen perfekte Spurwechsel zwischen feinfühligen Breakbeats, treibenden House-Tracks und einzigartigen Hymnen für denDancefloor. Diese Straße führt nach vorn. Kollektiv Turmstrasse beweist, dass man sich als Musiker weiterentwickeln kann–und das auf breiter Spur. Nico Plagemann, der Mensch hinter dem Projekt Turmstrasse, steckt leidenschaftlich in der House-Musik, spielt aber schon immer einen Sound, der nicht im Kreisverkehr hängen bleibt, sondern musikalische Abfahrten in aufregende und verwinkelte Gassen nimmt, uns vorbeiführt an Breakbeat, Indie-Dance und Techno bis hin zu Einflüssen aus Hip Hop und eingängiger, aber immer hochqualitativer Popmusik. Mit seinem Sound erzählt Turmstrasse seine fortdauernde Reise als Künstler, an dem mit den Jahren einige musikalische Trends vorbeigezogen sind. „Ich lasse mich von neuen Strömungen inspirieren, mir ist es vor allem wichtig, immer wieder Abwechslung reinzubringen. Mein Sound ist ein Crossover aus allem, was ich höre–und das reicht vonSoul bis hin zu Techno.”Das hört man auch auf seinem aktuellen eindrucksvollen Album „Unity of Opposites”.Los geht die wilde Fahrt vor einigen Jahren. Damals noch mit Beifahrer Christian an seiner Seite. Kollektiv Turmstrasse gründet sich als Duo in Wismar an der Ostsee, wo die beiden gemeinsam in der „Turmstraße” leben. So kommt es zum Künstlernamen. Die ersten Tracks entstehen, es folgen erste Gigs und das legendäre Album „Rebellion der Träumer”. Weitere Releases auf Kompakt, Diynamic, Cocoon, Fabric oder auch FFFR ergänzen die Diskographie. Die beiden verlegen den Wohnsitz nach Hamburg und erleben einige Abenteuer zusammen. Bis Christian sich vor einigen Jahren entscheidet, aus Kollektiv Turmstrasse auszusteigen. „Irgendwann fühlte Christian das ganze nicht mehr so richtig. Die Reiserei wurde zu viel, die Prioritäten verlagerten sich. Christian und ich werden aufgrund der unglaublichen Zeit, die wir zusammen verbracht haben, und der unzähligen Erinnerungen, die wir geschaffen und geteilt haben, immer eine tiefe Verbindung zueinander haben. Nach all den Jahren mussten wir einsehen, dass unsere Wege in unterschiedliche Richtungen führen. Es gab keine verrückten Streitereien oderkrasse Meinungsverschiedenheiten; es hat sich einfach so ergeben.” Seitdem ist Nico als „Ein-Mann-Kollektiv” unterwegs. Er tritt auf den wichtigsten Festivals der Welt auf, spielt in den besten Clubs, auf den beliebtesten Partys von Brasilien bis Australien und gehört weltweit zu den meistgebuchtenLive Acts in der elektronischen Musikszene. Dabei steht er nicht nur an der Seite der wegweisendsten Musiker, er ist längst selbst einer von ihnen. Stücke wie „Grillen im Park“, „Ordinary“ oder „Last Day” sind Hits für immer. Deutscher Techno und House wäre anders ohne Kollektiv Turmstrasse. „Ich liebe den Scheiß, deswegen mache ich das. „Wie viel Glück ich habe!” sagt Nico auf die Frage, wie er anstrengende Arbeitszeiten und lange Reise ndurchhält. „Mir ist es das wert, denn dafür habe ich die Freiheit, im Studio zu sein und das zu machen, was ich liebe und was ich auch irgendwie kann. Anscheinend.“ Und dann gibt es natürlich auch noch „Sorry, I’m Late”, den Turmstrasse-Überhit, „Irgendwann hab ich mit ein paarHip-Hop-Samples herumgespielt, einfach nur so aus Spaß. Das Ergebnis habe ich als Abschlusstrack bei einem Auftritt gespielt–und die Leute sind ausgerastet. Ich habe das damals gar nicht so richtig verstanden. Solomun wollte denTrack dann für Diynamic–und boom, hatten wir einen weltweiten Hit am Start. Ziemlich abgefahren!”
Das dazugehörige Video zu „Sorry, I’m late“ hat weit über 11 Millionen Views und alleine bei Spotify wurde der Song fast 50 Millionen mal gestreamed. Nicos Entwicklung ist verbunden mit einem hohen Maß an Selbstreflexion. Denn nur in der Auseinandersetzung mit sich selbst kann Veränderung entstehen. „Ich habe immer das Gefühl, es geht noch besser“, erklärt er de nGrund, warum es ihn Zeit kostet, Produktionen abzuschließen. Er fühle sich manchmal wie ein Maler, der ein Bild malt. „Dann fehlt eigentlich nur noch so ein Tüpfelchen, aber dieser Abschluss fällt mir schwer. Ich glaube, das liegt am inneren Anspruch.“ Gegensätze machen Turmstrasse als Künstler aus.Trotzdem ist da diese zweifelnde Seite, die Nico zu einem komplexen Künstler macht. „Aus dieser Dankbarkeit für meinen Erfolg heraus fühle ich mich nie gut genug.“ Dabei steht Kollektiv Turmstrasse für die Art Musik, die auch am Montag noch da ist. Musik für die große Versöhnung, die so nur Techno-und House-Musik auslösen kann. Doch wenn er von der Bühne gehe, sei er eigentlich immer selbstkritisch. „Auch wenn keiner meinen kleinen Fehler bemerkt hat.“Nico verbringt viel Zeit im Studio. Wo er, wie er sagt, oft das Gefühl hat, die Kontrolle über ein Stück zu verlieren, und es sich selbst entwickelt. Er sei auch beim Produzieren der Typ, der ständig Neues brauche, „mir fällt es schwer, acht Takte einfach laufen zu lassen.“ Vielleicht hat das mit seiner ADHS-Diagnose zu tun, mit der er offenumgeht. Nico möchte von Musik überrascht werden und nicht schon Takte vorher wissen, wann der Break kommt. Doch er habe auch erkannt, dass das Geheimnis guter elektronischer Musik die Reduktion ist. So entsteht die fü rKollektiv Turmstrasse so typische Abwechslung und die Tiefe seiner Sounds. Voller Wärme und Groove.
Was Nico für die Konzentration und Ausgeglichenheit hilft, die sich auch in seiner Musik wiederfindet, ist das Angeln. „Ich starre nicht stundenlang auf die Pose, sondern ich bin ein Raubfisch-Angler. Das heißt, ich werfe ständig rein und hole raus. Aber das Zwitschern der Vögel, das Rauschen der Bäume und das Sirren der Angelrute, das befriedigt mich, das ist wie Meditation.“ Nico beschreibt sich als eher introvertierten Typen, der gerne auch alleine sei, das passt zum Angeln. Aber im Gegensatz beschäftigt er sich auch mit extrovertierteren Themen wie Mode und Design. „Ich mag eben schöne Dinge“, sagt er. „Ich kann mich auch an einfacher Schönheit erfreuen, simples wie eine Blume, die aus einem Bordstein herauswächst und sich ihren Platz geschaffen hat. “Dazu passt auch Turmstrasses Veranstaltungsreihe YAP, die in verschiedenen Venues Europas stattfindet undnicht nur Nicos Ideale widerspiegelt, sondern auch die Ideale, die die Fundamente der Dancemusikkulturausmachen: Inklusion, Gemeinschaft und Respekt. YAP ist die Abkürzung für „You Are Perfect“. Jeder Mensch sei perfekt, sagt der Musiker. „Ich möchte, dass jeder kommt und jeder kommen kann. „Du kommst hier nicht rein“, gibt es da nicht.“ Er möchte mit seinen Partys House zu seinen Ursprüngen zurückführen und dabei ein Gegengewicht zu der Selbstoptimierung setzen, wie sie uns heute ständig in den sozialen Medien begegnet. Denn Kollektiv Turmstrasse weiß nicht nur, dass Selbstoptimierung einer guten Party eher im Wege steht, sondern auch, dass man beim Spurwechsel den Schulterblick nicht vergessen darf.