Ja warum eigentlich nicht Detroit? Weil es nicht darum geht, wer Techno erfunden hat.
Anlass war ein Meinungskommentar von Tajh Morris auf Resident Advisor, der seit ca. 2011 als DJ am Start ist. Überschrieben ist der Text mit diesen Zeilen: „Berlin hat den Techno nicht erfunden. Warum wird Detroit in der Unesco-Würdigung nicht erwähnt?“ Er spricht darin von einer „jahrzehntelangen Ungerechtigkeit im Mittelpunkt der jüngsten Entscheidung, die Clubkultur der Stadt zu feiern“.
Morris verweist darauf, dass Techno eine Erfindung vor allem Schwarzer Jugendlicher in Detroit war; parallel zur Entwicklung von House in Chicago (Niemand wird jemals Frankie Knuckles des Godfather of House anzweifeln). moniert, dass deren Pionierleistung unterschlagen wird, wenn Techno einzig zum Nachwende-Sound von Berlin erklärt.
Und weiter: „Wo wäre der Berliner Techno ohne Underground Resistance, Mike Huckaby oder Jeff Mills?“
Man kann diese Frage aber auch andersrum stellen. Wo wären die Detroiter Techno-Pioniere, wenn nicht der Tresor den neuen Sound nicht mit seinem hauseigenen Plattenlabel Tresor Records bekannt gemacht hätte. Die Auftritte nicht zu vergessen. Und natürlich die Berlin Detroit Connection. Also von einer jahrzehntelangen Ungerechtigkeit zu reden, erscheint mir ein bisschen drüber.
Alan Oldham fand zu diesem Kommentar die richtigen Worte im Playful Magazine.
„Nö. Detroit Techno gibt es schon seit fast 40 Jahren. Jeder, der sich mit elektronischer Musik auskennt, weiß, dass meine Heimatstadt Detroit die Geburtsstätte des Techno ist. Viele Detroiter sind lebende Legenden, die immer noch relevant und kreativ wegweisend sind. Als wir uns um den UNESCO-Status bewarben, hatten wir (ich, Dr. Motte und das Team) im Hinterkopf, dass Berlin nur der Testfall ist. Im Erfolgsfall könnten sich auch andere Städte mit einer reichen musikalischen und kreativen Geschichte um denselben UNESCO-Status für immaterielle Kultur bewerben. Natürlich sind die USA kulturell gesehen ein anderer Ort mit eigenen Herausforderungen. Wir werden sehen!“
Natürlich ist das mit dem “ immateriellen Kulturerbe“ generell ein bisschen lustig und die jungle world schreibt passend dazu von einer „Musealisierung der Rave-Kultur“. Vergessen wir nicht, dass in diesem Jahr auch das Bergsteigen in Sachsen, die Finsterwalder Sangestradition, der Kirchseeoner Perchtenlauf, die Schwälmer Weißstickerei und der Viez in das »Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes« aufgenommen wurden. Im Vorjahr wurde übrigens eine andere Subkultur mit dem Label „Immaterielles Kulturerbe“ geadelt. Damals hatte die Heidelberger Hip-Hop-Szene die Auszeichnung erhalten. Tja… hat jemand den Aufschrei bzgl. kultureller Aneignung mitbekommen? Ich nicht.
Die UNESCO begründet das so: „Bei der Techno-Szene handele es sich „nicht nur um eine spezifische Musikrichtung, sondern auch um einen gelebten Gegenentwurf zu klassischen Praktiken des Musikhörens.“
Stellt sich trotzdem die Frage, ob eine solche Auszeichnung für die Techno-Kultur erstrebenswert ist. Weil wegen Gegenentwurf zur Normalität. Weil wegen Illegalität. Weil wegen Drogen. Weil wegen Unangepasstheit. Weil wegen Subkultur gegen Kommerz. Oder aber weil Wertschätzung und Anerkennung einer alternativen Kulturform.
Wenn durch den Entscheid Fördermittel an Veranstalter fließen und staatliche Zugeständnisse an subkulturelle Orte ermöglicht werden, wäre das wirklich gut, aber machen wir uns nichts vor. Es schützt definitiv nicht die Clubs, die von der A100 bedroht werden. Es wird auch nicht dafür sorgen, dass politische Demonstration wie der Zug der Liebe auf einmal an die stattlichen Kulturfördertöpfe kommen. Und die Veranstalter werden trotzdem ihre Anträge ausfüllen müssen, die in den letzten Jahren von immer stärker einschränkenden Regelungen betroffen waren, von den fragwürdigen Juryentscheidungen ganz zu schweigen. Siehe Tegel Frachtkantine. Ob der Titel rechtliche Vorteile bei der Neueröffnung von Clubs und Veranstaltungsorten bringt, also weniger Hürden und Auflagen oder vor Verdrängung schützt, wird sich also erst in der Zukunft zeigen. Oder eigentlich auch nicht, denn „Die Regeln des Marktes müssen auch am Clubeingang akzeptiert werden„, sagte ja schon ausgerechnet Kultursenator Joe Chialo (CDU) dem Groove Magazin.
Die Clubcommission stand der Anfrage für eine Kooperation und um Unterstützung für den Anmeldeprozess laut Rave the Planet ablehnend gegenüber (RTP). Laut CC wurde Rave the Planet zwar nicht aktiv unterstützt, aber auch nicht abgelehnt und deren Einladung sogar über die CC Newsletter verteilt. Das Marcel Weber von der CC im rbb Interview kurz nach dem Erfolg gleich Forderungen ableitete a la die Clubszene werde es auf Dauer nur mit Zuschüssen vom Bund oder dem Land Berlin schaffen, das Bestehende zu erhalten, wirkte schon schwierig. Wobei es hier schlicht eine Verkettung schlechter Timings handelt.
- Freitag kam die Anfrage von RTP.
- Samstag war das rbb interview von Marcel Weber, wo er die Zuschüsse ansprach.
- Sonntag ging daraufhin die kritische PR Mitteilung von RTP raus.
- Montag antwortete die CC auf die Mail vom Freitag.
Also klassischer Fall von mangelnder Kommunikation. Berlin halt…
Böse Zungen könnten behaupten, dass die Unesco-Aktion von Rave the Planet vor allem der PR ihrer gGmbH dient, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Loveparade „als jährlichen Feiertag der elektronischen Musikkultur“ fortzuführen. Aber selbst wenn… sie haben es geschafft, das allein zählt.
Zündfunk von Bayern 2 schreibt zum Thema:
„In Sachen Techno funktioniert die Argumentation aus dem Resident Advisor aber nur so halb. Denn die Inspiration der Pioniere aus Detroit waren wiederum weiße Bands. Kraftwerk, Yello, Heaven 17 oder New Order hat man in Detroit geliebt. Die Beats dieser Bands waren es dann auch, die Derrick May und co. verfremdet und so zu Techno gemacht haben. Auch Kraftwerk werden sich an Vorbildern orientiert haben, als sie ihren elektronischen Sound entwickelt haben – die gesamte Geschichte der Popmusik basiert auf solchen Aneignungen.“
Versteht mich nicht falsch:
Die kreative musikalische Energie, die unter dem Einfluss europäischer Stile wie EBM, New Beat und Synthie-Pop (Kraftwerk, Giorgio Moroder, Jean-Michel Jarre, Yello, Depeche Mode, Cabaret Voltaire …) im post-diskoiden Klima Detroits entstand und von Pionieren wie Juan Atkins (bekannt als „Godfather of Techno“ und Mitglied von Cybotron und Model 500), Kevin Saunderson (Gründer von KMS Records und Mitglied von Inner City) und Derrick May (Labelchef von Transmat) geprägt wurde, sowie später von Jeff Mills, Mike Banks und Robert Hood mit ihrem Projekt Underground Resistance, ist schlichtweg enorm und bewundernswert. Diese künstlerische Errungenschaft wird niemand diesen talentierten Künstlern je absprechen können. Aber der Vorwurf, dass passiere gerade, ist schlichtweg falsch. Weil niemand das in Zweifel zieht, denn darum geht es gar nicht, sondern um das, was Berlin dankbar daraus gemacht hat. Wobei „gemacht“ der falsche Ausdruck ist. Es war wie ein Myzel, das sich rasend schnell über die Stadt ausbreitete, und alle infizierte. Weil es neu, aggressiv, dunkel, wunderschön, einfach alles vereinnahmend war. „Techno war ein Aufbruch einer ganzen Generation in eine neue musikalische Epoche.“ sagte Hegemann mal. Und de facto wurde Berlin auch nicht als „Geburtsort des Techno“ ausgezeichnet. Oder hab ich da was überlesen? Weiterer Fun Fact: Dass der Detroit-Techno nicht selbst auch Welterbe ist, hat einen politischen Grund: Die USA haben die Welterbe-Konvention der Unesco nie ratifiziert, können also keine Einträge in dem Verzeichnis vornehmen.
Zudem gestaltet es sich herausfordernd, Kritik an einem Gremium zu üben, das aus Vertretern des Bundesrates und der deutschen UNESCO-Kommission besteht, weil es sich mit popkulturellen Phänomenen aus Deutschland beschäftigt, jedoch nicht mit solchen aus Detroit. Techno war in den 90ern in Berlin zweifellos ein verbindendes Element für verschiedenste Subkulturen und Normalos, es war sicher auch hilfreich bei der Wiedervereinigung, zumindest was das sich Kennenlernen durch Tanzen anging. Oder wie Stefan Hochgesand in der Berliner Zeitung schrieb:
„Techno ist auch eine Weise, auf das Leben zu blicken. Das haben auch die Menschen in Berlin gespürt, als dieser neuartige Subkultur dort ziemlich genau zur Wendezeit ankam. Die friedliche Umbruchstimmung lag in der Luft. Und nun gab es den Soundtrack dazu. Die Clubs waren jene Orte, an denen sich die jungen Leute aus Ost und West erstmals ganz nah kamen; die erste gesamtdeutsche Jugendkultur. Zwar haben sich die Leute Acid in die Blutbahn gejagt, aber alles ausgesprochen friedlich und empathisch miteinander“
In Detroit wäre auch gar nicht möglich gewesen wäre, was in Berlin passierte. Die Sperrstunde, die in Berlin bereits seit 69 Jahren nicht mehr gelte, ist in Detroit noch immer noch aktuell. „Zwischen zwei Uhr in der Nacht und sieben Uhr morgens passiert da nichts.“ laut Dimitri Hegemann, der schon wahrscheinlich 20mal dort war. Wenn es um elektronische Musik geht, wird die ganze Diskurs eh absurd. Techno gehört ja niemand. Techno war immer vereinigend, alles in sich aufsaugend, und kreative Explosionen erzeugend wie Analogue Bubblebath 1991 von Aphex Twin oder 1992 Shut Up & Dance – The Green Man. Musik, weit weit entfernt von Detroit Sounds. Techno war nicht nur Detroit. Es war Chicago House, Trip Hop, Electro, Big Beat, Jungle und Drum n Bass. Zumindest für mich. Eine unglaubliche Vielfalt voller verschiedener Spielarten elektronischer Musik. Und alle hatten in Berlin ihren Platz. Weil wir es wollten und liebten. Und ganz bestimmt nicht auf die Idee gekommen wären, irgendjemand etwas wegnehmen zu wollen. Das zeichnete diese Musik aus. Klar, die Industrie stürzte sich schon Ende der 90er drauf und heute schauen wir mit Grauen auf megalomanische EDM Festivals und Tik Tok DJs, die ohne Kabel im Equipment vor tausenden Menschen die Arme in die Luft reißen. ABER Berlin + Techno, das ist eine ganz besondere Geschichte. Und dieses Ding namens Kulturerbe steht eigentlich denen zu, die in den frühen 90ern Kellerlöcher erkundeten, dort mit ein paar Brettern eine Bar aufbauten, und die, bei Hardwax gekauften Platten, einem hungrigen Publikum zugänglich machten, die einfach los stürzten und sich diesem Sound hingaben und Techno zur größten Erfolgsgeschichte Berlins machten, auch wenn es gerade diese Menschen am wenigsten interessieren dürfte.
Gefunden auf Soundcloud:
playlist hier:
01 Raymond Scott – The Bass-Line Generator (1966 [Basta 2000])
02 Kraftwerk – Nummern (Kling Klang 1981)
03 CTI (Chris & Cosey) – Dancing Ghosts (Doublevision 1984)
04 Throbbing Gristle – Hot on the Heels of Love (Fetish Records 1979)
05 Flying Lizards – Steam Away (Virgin 1981)
06 Doris Norton – War Mania Analysis (Durium 1983)
07 Raymond Scott – Toy Funk (1961-1971 [Basta 2017])
08 S.C. Sharma – Dance Music III (1969-72 [The state51 Conspiracy 2023])
09 Raymond Scott – IBM Probe (1961-71 [Basta 2017])
10 Kid Baltan – Tape Loop with Rhythm and Bass Patterns (1957 [Basta 2004])
11 Cluster – Rote Riki (Brain 1974)
12 Richard Wahnfried – Time Actor (Innovative Communication 1979)
13 Laurie Spiegel – Drums (1975 [1980 Philo])
14 Vito Ricci – Inferno Pt. 1 (1983 [Music From Memory 2015])
15 Erkki Kurenniemi – Sähkösoittimen Ääniä #1 (1971 [Love Records 2002])
16 Normal Brain – M-U-S-I-C (Vanity Records 1981)
17 Kraftwerk – Kristallo (Vertigo 1973)
18 Kraftwerk – Spacelab (Capitol 1978)
19 Conrad Schnitzler & Wolf Sequeza – Fata Morgana (Conrad Schnitzler self released 1980)
20 A Number Of Names – Sharevari (Capriccio 1981)
21 Maddalena Fagandini – A07 Interval Signal (BBC Records 1960)
22 I.S. Mathur – Moogsical Forms (1969-72 [The state51 Conspiracy 2023])