Das Project Space Festival Berlin feiert dieses Jahr sein 10-jähriges Bestehen in einer Zeit, in der es wichtiger denn je erscheint, im Dialog zu bleiben, sich mit der Entwicklung translokaler Kunsträume auseinanderzusetzen und ihre Projekte als Wurzeln kultureller Resilienz zu verstehen. In den aktuell, von Digitalisierung, Globalisierung und Polykrisen geprägten Gesellschaften, die Kulturinstitutionen mit besonderen Erwartungen konfrontieren und aktuelles künstlerisches wie kuratorisches Arbeiten herausfordert, bietet das Festival einen Monat lang die Möglichkeit, an 30 aufeinanderfolgenden Tagen, das vielfältige Programm selbstorganisierter Kunsträume-und Initiativen in Berlin zu erleben.
Mit dem Start in die Freibadsaison eröffnet TROPEZ in diesem Jahr das Project Space Festival Berlin am 1. Juni im Sommerbad Humboldthain. Die Gruppenausstellung „SWARM“ erforscht, wie die Intelligenz der Gemeinschaft unseren Alltag prägt. Schwarmintelligenz tritt nicht nur als aktuell omnipräsente KI in unser Leben; sie begegnet uns seit jeher, etwa als Sprache, Ideologie oder harmloser: als Trampelpfad. Doch sind wir uns in täglichen Abläufen weder der kollektiven Intelligenz bewusst, noch der anachronistischen Strukturen, die wir reproduzieren, wenn wir vermeintlich individuelle Entscheidungen treffen. „SWARM“ lädt das Publikum ein, zu experimentieren, als Schwarm zu agieren und Erfahrungen zu teilen. Dabei soll auch ermittelt werden, wie sich Verzerrungen und diskriminierende Prozesse in unseren Alltag eingeschlichen haben. Die Künstler*innen Khaled Barakeh, Mahube Diseko, Rashiyah Elanga, Levi van Gelder, Joey Holder, Shamiran Istifan, Wong Ping, Lucía Pizzani, Niclas Riepshoff und Julijonas Urbonas beleuchten, was KI ist, bevor sie digital wird. Die für den Ort produzierten Exponate, z.B. eine Zauberkugel mit Bademeisterinnen-Statements, Infoflut-Klangkabinen oder ein Sommerbad-Skandale aufbauschendes Umfragetool, finden sich auf der Grünfläche, am Beckenrand oder vor dem Kioskgebäude.
Am 8. Juni eröffnet im Projektraum Neun Kelche die Einzelausstellung „Outlaw Feelings“ von Melanie Jame Wolf mit der Performance “Burden Ballads”. Die in Berlin lebende Künstlerin zeigt skulpturale Arbeiten, darunter drei Latex-Textilarbeiten mit Metall- und Keramikelementen, die als Installation im Raum miteinander in Dialog treten werden. Die Installation ist Teil ihrer langjährigen Forschung über die Performativität von Objekten und Materialien – insbesondere von Stoffen – und konzentriert sich auf Politik und Poetik gesellschaftlicher Erwartungen an die Eindämmung von Emotionen. Die Künstlerin interessiert sich für die subversive Kraft verbotener Gefühle – Gefühle, die austreten und sich der Eindämmung verweigern, wie Trauer, Wut, schwarzer Humor und Freude, die „zu laut“ ist – und die Entfremdung, die ihrem Ausdruck folgen kann.
Während der Eröffnung wird Melanie Jame Wolf von Maxi Wallenhorst und MINQ begleitet, die die Ausstellung mit einer 30-minütigen performativen Lesung eines neuen „Mini-Opern“-Librettos, bestehend aus Choreographie, Text und Gesang, aktivieren werden. Die Ausstellung reflektiert die Kraft und Komplexität des Umgangs mit Gefühlen zwischen Klasse, Identität, Handlungsfähigkeit, Seltsamkeit und Fragen der Sterblichkeit.
Berlin ist eine Stadt, in der sich auf eine über Jahrzehnte entwickelte, reichhaltige Geschichte, künstlerischer Freiräume zurückblicken lässt. Im Programm der diesjährigen Ausgabe stellt BETON Berlin am 15. Juni mit einer ortsspezifischen Zeitreise, daher einen besonderen Bezug zu Projekträumen der Vergangenheit her. BETON Berlin ist eine Initiative, die sich mit Veränderungen der Stadt beschäftigt und gesellschaftliche Prozesse künstlerisch begleitet. Die Initiative des Künstlers Christof Zwiener lädt Künstlerinnen und Künstler ein, sich mit ungenutzten und umgenutzten Plätzen bis hin zu realitätsfremd wirkenden Großprojekten wie der A100 zu beschäftigen. Für das Project Space Festival begibt sich BETON Berlin am 15. Juni mit dem Künstler, Publizisten und Kurator Andreas Koch in die ehemaligen Räume des Projektraums Capri in der Brunnenstraße, an dessen Stelle sich heute ein Kundenbüro einer Versicherung befindet. Andreas Koch hatte in seiner Ausstellung STADT in diesen Räumen 2002 eine begehbare Architekturlandschaft, eine „Stadt in Zimmergröße“ präsentiert, die jetzt am selben Ort, über zwanzig Jahre später, wieder in Erinnerung gerufen wird.
Am 20. Juni in der ACUD Galerie stehen die koloniale Besetzung Sibiriens und die Spannungen zwischen dem Staat und der Republik Sakha im Mittelpunkt. Die indigene Präsenz in Russland bleibt in der globalen Agenda unbemerkt, und mit dem anhaltenden Krieg und den verhängten Sanktionen wird die drohende Isolation der Arktis deutlich. Diese Bedingungen unterstreichen die Notwendigkeit, einen sehr nischenhaften historischen Inhalt in eine übertragbare und ästhetisch ansprechende Form zu bringen. In dem Projekt wird der autonome Raum imaginiert, den „Sakha-Rap“ darstellt, und gleichzeitig die Formen betrachtet, die er im Laufe der Jahre angenommen hat. Wie ist er entstanden – was hat ihn beeinflusst? Sakha-Rap wird als Form und als Material genutzt, um die Vergangenheit, die Gegenwart und die mögliche Zukunft Jakutiens zu formulieren. Wie kann die Dynamik seiner Entstehung im aktuellen „Zeit-Raum“-Kontext verortet werden? Svetlana Romanova wird ihre Forschungsergebnisse über die postkoloniale Realität der indigenen Völker Jakutiens mit dem Publikum teilen. Anschließend wird ein anonym bleibender Künstler mit einer Video-Performance fortfahren, in der er einige lyrische Aspekte der wichtigsten Lieder/Künstlerarbeiten aufschlüsselt und dabei Parallelen zu den politischen Ereignissen in der Republik Sakha zieht.
Die Ausstellung „Patterns of (In)Security II“ von Sabine Hornig aus Berlin und Tamuna Chabashvili aus Tiflis, im Projektraum Die Möglichkeit einer Insel geht aus einem intensiven künstlerischen Forschungs- und Dialogprozess der beiden Künstlerinnen hervor, der 2022 in Tiflis begann. Ihre Arbeit beschäftigt sich mit den verändernden sozialen und politischen Perspektiven in den jeweiligen Ländern und den zugrunde liegenden Konfliktsituationen, vor ihrem jeweiligen Hintergrund: dem ehemals geteilten Berlins und der aktuellen Situation des teilweise besetzten postsowjetischen Georgiens. Der Dialog zwischen ihren Arbeiten bezieht sich auf die persönliche und kollektive Wahrnehmung von Grenzen und untersucht, wie diese Grenzen greifbar, undurchsichtig und durchlässig werden. Ihre skulpturale Intervention in den entkernten Plattenbau mit seinem Schaufenster lädt die Besucher von der Straße aus zur Interaktion ein. Die ortsspezifischen Arbeiten aus Seilen, Textilien und durchlässigen Metallstrukturen interagieren miteinander; Schichten der Beobachtung und Erinnerung der Künstlerinnen entfalten sich allmählich – fragmentierte Elemente fügen sich assoziativ wieder zusammen und werden plötzlich greifbar, während man durch die Installationen geht. Sie thematisieren die sichtbaren und unsichtbaren Übergänge zwischen Innen und Außen, zwischen Isolation und Abschottung oder Offenheit und Demokratie, sowie die Möglichkeit und Fragilität gesellschaftlicher Teilhabe.
BILD Quellen
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TROPEZ
Foto: Ink Agop
Das diesjährige Project Space Festival eröffnet am 1. Juni bei TROPEZ im Sommerbad
Humboldthain mit der Gruppenausstellung SWARM und den Künstlerinnen Khaled Barakeh, Mahube Diseko, Rashiyah Elanga, Levi van Gelder, Joey Holder, Shamiran Istifan, Lucía Pizzani, Niclas Riepshoff, Julijonas Urbonas und Amelia Winger-Bearskin. die raum.jpg die raum; Exclusive Incline; Egemen Demirci & Sunette L. Viljoen; 2020 Foto: Jan Windszus die raum zeigt am 4. Juni die Performance Three Girls and a Pig von Anne-Mette Schultz und Mia Edelgart. Willem de Haan.jpg Willem de Haan, Highrise Campsite, IJsselbiënnale 2023 Foto: Willem de Haan Die Ausstellung Public Space for Sale des Künstlers Willem de Haan wird am 5.Juni im Projektraum the Gimp in Berlin-Schöneberg zu sehen sein. Scherben.jpeg Flat Errth; Scherben & Rhythmus Messy Cambio; Sophia Eisenhut, Felix Krapp-Raczek, Kira Scerbin, Max Eulitz; Kuratiert von Lorenz Liebig, Marcel Freymond, Tarik Kentouche und Jeronim Horvat; 2022 Foto Copyright: die Künstlerinnen und Scherben
Scherben präsentiert am 06. Juni Videoarbeiten der KünstlerInnen Sophia Eisenhut & Max
Eulitz, Laxlan Petras, Frances Scholz und Mark von Schlegell im Kunsthaus KuLe.
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Neun Kelche; Kleber und Falten; Julia Lübbecke; 2023
Foto Copyright: Dorothea Dittrich, VG Bildkunst
Neun Kelche eröffnet am 08. Juni die Ausstellung Outlaw Feelings von Melanie Jame Wolf mit der Performance Burden Ballads.
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BETON Berlin 09; Sarah Lüdemann; August 2023
Foto: BETON Berlin
Für das Project Space Festival begibt sich die nomadische Initiative BETON Berlin am 15. Juni mit dem Künstler, Publizisten und Kurator Andreas Koch in die ehemaligen Räume des Projektraums Capri in der Brunnenstraße. Für einen Abend wird der Ort, an dessen Stelle sich heute ein Kundenbüro einer Versicherung befindet, wieder zu einem Projektraum.
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Kleine Humboldt Galerie; I Am Elevating In All Ways; Ofra Ohana, Lauren Lee McCarthy,
Agrina Vllasaliu; Elevation I; 2022
Foto Copyright: Nikolas Geier
Die Kleine Humboldt Galerie ist zu Gast in der Villa Heike. Am 19. Juni wird dort mit einer Performance von Moran Sanderovich die Ausstellung things we meet in the dark mit Daniel Dobarco, Marina Pohl, Aline Schwörer, Anny Listmeier und Theresa Rothe, Moran Sanderovich, Lyndsey Walsh eröffnet.