Was ist die zentrale Idee hinter dem Pop-Kultur Festival?
Pop-Kultur hat nicht nur eine zentrale Idee, sondern gleich mehrere. Das Zentrum bildet das Hauptprogramm, das aktuelle Trends abbildet, aber auch popgeschichtliche Bezüge herstellt. In diesem Kontext verstehen wir uns als Experimentierlabor, das die ganze Bandbreite von Popkultur abbilden möchte. So erlebt das Publikum bei uns Künstlerinnen mit ganz unterschiedlichen Backgrounds, oft auch aus popkulturell eher unterrepräsentierten Regionen der Welt. Dieses Jahr stehen beispielsweise ZIMBRU aus Rumänien, Kabeaushé aus Kenia, die Berliner Sängerin Fee Aviv, aber auch die Rocklegenden von A Certain Ratio aus England auf den Pop-Kultur-Bühnen. Man erlebt diese Mischung auf anderen Festivals eher selten. Ein weiterer Schwerpunkt des Festivals liegt auf den Commissioned Works, also den Auftragsarbeiten, mit denen wir Künstlerinnen die Möglichkeit geben, Eigenproduktionen zu kreieren, die sich außerhalb der regulären Logik von Album-Release und begleitender Tour befinden. Die dritte Säule unseres Festivals ist das Workshop-Programm „Pop-Kultur Nachwuchs” für die Vernetzung junger Talente und den Wissenstransfer. Unser Talk-Programm „Pop-Kultur Diskurs“ nimmt Popkultur auch politisch und sozial unter die Lupe, und schlussendlich prämiert „Pop-Kultur lokal“, ungewöhnliche Veranstaltungskonzepte, die mitten in den Kiezen stattfinden.
Gab es hier Veränderungen über die Jahre?
Ein Festival verändert sich natürlich mit der Gesellschaft. So versuchen wir beispielsweise, an der Barrierefreiheit von Pop-Kultur zu arbeiten und Inklusion inhaltlich sowie strukturell zu einer Priorität zu machen. Das ist ein laufender Prozess, bei dem wir auch fortwährend dazulernen und nachjustieren.
Wie definiert das Pop-Kultur Festival den Begriff „Popkultur“?
Im weitesten Sinne. Wir schließen in dem Begriff alle Genres populärer Musik mit ein, aber auch popkulturelle Phänomene anderer Kunstformen – unsere Commissioned Works liefern hier gute Beispiele. Das Spektrum reicht von Film über Mode bis zur Literatur. Wir lassen den Künstlerinnen größtmögliche Freiheit.
Wie wird das Line-up des Festivals zusammengestellt, um eine breite Vielfalt an Genres und Künstlerinnen zu repräsentieren?
Wir gestalten das Programm zu dritt. Wir haben sehr unterschiedliche Blickrichtungen und Herangehensweisen. Das führt an sich schon zu einer guten Mischung. Meine Aufgabe ist es unter anderem, diese Vielfalt in einen dramaturgischen Rahmen zu fassen. Man braucht unbedingt ein Konzept – das war das wichtigste Learning, das ich mit meinem damaligen Programm- und Bookingkollegen Martin Hossbach mitgenommen habe. Also nicht einfach nach Gusto Act für Act zu buchen. Das ist ein wenig wie kochen: Man fügt eine Zutat hinzu, schmeckt dann nochmal ab und stellt fest, was noch fehlt. So ist es uns zum Beispiel von Anfang an gut gelungen, ein Line-up auf die Beine zu stellen, welches gezeigt hat, dass ein geschlechtergerechtes Programm nicht so schwierig zu programmieren ist. Das war noch lange, bevor es Initiativen wie Keychange überhaupt gab.
Welche besonderen Highlights können wir dieses Jahr erwarten, insbesondere im Hinblick auf die Commissioned Works und die performative Installation Çaystube?
Ich freue mich sehr auf Hope, die eine Commissioned Work mit der Unterwasser-Filmemacherin und Umweltaktivistin Emma Critchley erarbeiten. Wir wissen so wenig von dieser Welt, obwohl sie zwei Drittel unseres Planeten ausmacht und von Zerstörung bedroht ist. Das finde ich sehr spannend. Ganz besonders freue ich mich immer auch auf die Arbeiten im RambaZamba Theater. Hier herrscht eine konzentrierte, intime Atmosphäre und es ist interessant zu sehen, wie Musikerinnen mit diesem Theaterkontext umgehen. Dort performen dieses Jahr Pari Eskandari, Melanie Jame Wolf, Christin Nichols. Die Çaystube ist eine frei zugängliche installative Bühne im Hof der Kulturbrauerei, die von meiner Kollegin Yeşim Duman kuratiert wird. Olympia Bukkakis lädt hier mit vielen Gästinnen zu einer Karaokeperformance ein. Meiner anderen Kollegin Pamela Owusu-Brenyah ist es zum Schluss des Kurationsprozesses noch einmal gelungen, zusätzliche Mittel zu akquirieren, um zwei außergewöhnliche Acts vom afrikanischen Kontinent zu uns zu holen: Den ghanaischen Rapper Black Sherif und Yemi Alade aus Nigeria, eine der erfolgreichsten Musikerinnen des afrikanischen Kontinents.
Wie werden Nachwuchstalente und internationale Künstlerinnen in das Festival eingebunden?
Seit Beginn des Festivals existiert unser Workshop-Programm Pop-Kultur Nachwuchs. Dieses findet tagsüber statt. Hier trifft der Nachwuchs auf die Profis, bei gezieltem Mentoring und in thematisch fokussierten Sessions. Hinzu kommen Netzwerkformate und eigene Slots auf der Bühne im Frannz Biergarten. Einige Künstlerinnen, die jetzt große Bühnen bespielen, haben mit diesem Nachwuchsprogramm angefangen. Darauf sind wir besonders stolz. Über unsere Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut können auch internationale Nachwuchstalente aus Ländern des Globalen Südens an diesem Programm teilnehmen. Wie sieht die Zusammenarbeit mit anderen lokalen Veranstalterinnen und kulturellen Akteurinnen in Berlin aus? Wir sind beim Kuratieren des Programms auf die Zusammenarbeit mit sehr vielen verschiedenen lokalen Akteurinnen angewiesen – von Agenturen über die Labels und Managements bis hin natürlich zu den Künstlerinnen selbst. Das bereits angesprochene Format Pop-Kultur lokal, das im Vorfeld des Festivals stattfindet, wurde auch von lokalen Akteurinnen wie Anton Teichmann mitentwickelt, um die Branche vor Ort zu stärken.
Wie plant das Festival, sich weiterzuentwickeln und an aktuelle gesellschaftliche Veränderungen anzupassen?
Wir sehen ja gerade, wie Auseinandersetzungen um weltpolitische Konflikte die Kultur spalten. Auch der aktuelle Vormarsch des Rechtspopulismus in Deutschland gefährdet die kulturelle Vielfalt. Durch Social Media finden sehr schnell Verkürzungen und Vereinfachungen statt, die der Sache nicht guttun. Wir müssen hier ordentliche Debatten führen und die Räume schaffen, um dies möglich zu machen. Hier sehe ich uns in der Pflicht, auch wenn das eine schwierige Aufgabe ist. Man muss auch aufpassen, dass Kunst nicht instrumentalisiert wird. Das erleben wir gerade in der Popkultur sehr oft, denn das ist ja eine reichweitenstarke Kunstform, durch die man sehr schnell Botschaften breit streuen kann. Das ist natürlich reizvoll für eher kunstferne Interessengruppen, deren Ziel es ist, zu polarisieren.
Welche Visionen habt ihr für das Pop-Kultur Festival in den kommenden Jahren?
Man muss ganz klar sagen, dass wir sehr viel damit beschäftigt sein werden, den Raum, den wir geschaffen haben, zu schützen. Zum einen werden die Mittel knapper. Für uns bedeutet das, dass wir unseren Unterstützer*innen deutlich machen müssen, welche wichtige Rolle die Kultur spielt. Zum anderen wird es immer mehr Versuche vom rechten Rand geben, die Hoheit über kulturelle Diskurse zu übernehmen. Dem müssen wir mit Pop-Kultur entgegentreten und weiterhin verdeutlichen: Unser Festival steht für eine offene, tolerante und freie Gesellschaft! Außerdem haben wir auch ganz klar die bessere Musik.
Pop-Kultur 2024 findet vom 28. bis 30. August in der Kulturbrauerei Berlin statt.
Christian Morin ist seit 2015 Kurator des Berliner Pop-Kultur Festivals. Gemeinsam mit Pamela Owusu-Brenyah und Yeşim Duman programmiert er Konzerte, Auftragsarbeiten, Talks und Workshops. Seit 2021 ist Morin ebenfalls Festivaldramaturg.