Auch im Jahr 2024 taumelt die Clubkultur irgendwo zwischen Hoffnung und Untergang. Nicht erst seit Corona erleben wir ein Drama in drei Akten: Zuerst die Pandemie, dann die wirtschaftliche Krise und nun der schmerzhafte Dolchstoß durch die Streichung wichtiger Fördermittel. Letzteres trifft nicht nur Veranstalter*innen hart, sondern auch all jene, die sich für inklusives, barrierefreies und nachhaltiges Feiern einsetzen. Eine solche Initiative ist Clubtopia, deren Arbeit nun dem Rotstift zum Opfer fällt. Ein trauriges Beispiel, welches deutlich zeigt, dass vor allem die zukunftsweisenden Teile der Clubkultur von den Kürzungen betroffen sind.
Autor: Jessica Schmidt
Als Journalistin widmet sich Jessica Schmidt den Themen der Club- und Subkultur. Zudem moderiert und produziert sie den Safer-Use- Podcast NACHTSCHATTEN - ein Kooperationsprojekt u.a. von SONAR - Safer Nightlife Berlin. Neben ihrer Tätigkeit als Moderatorin, Autorin und Kommunikationsmanagerin war Jessica Schmidt auch für die Pressearbeit diverser Club- und Kulturformate wie z.B. der Nachhaltigkeitsinitiarive CLUBTOPIA verantwortlich. Als Teil der DRAUSSENSTADT-Jury hat sie zudem einen detaillierten Blick auf die Förderlandschaft der Hauptstadt. Gemeinsam mit Zoe Uellendahl betreibt sie das Content-Projekt TRESENTALK, das im Rahmen des Publikumstags der STADT NACH ACHT am 18.November diverse Paneltalks in der Renate moderiert und kuratiert.
Für die gesamte Szene sind die finanziellen Herausforderungen so gravierend, dass sich die Frage stellt: Steht die Clubkultur vor ihrem letzten Tanz?
2024 – Mehr Dystopie als Utopie
Ende 2024 wird das Watergate, eine der bekanntesten Party-Locations in Berlin, seine Türen schließen. Zuvor hatte bereits die Renate ihr Aus zum Ende des kommenden Jahres verkündet – ebenso wie das legendäre Mojo in Hamburg. Die Distillery in Leipzig, ehemals der älteste Technoclub in Ostdeutschland, hatte bereits im Mai 2023 das Handtuch geworfen.
Die Schließungen sind offensichtlich nicht nur ein Thema der Hauptstadt, sondern ein Symptom für die allgemeine Misere der Clubkultur. Laut dem Verband der Musikspielstätten Deutschland e.V. sind Club-Gründungen seit 2021 stark zurückgegangen und viele Betriebe finden keine Nachfolger*innen. Wer will schon in solch turbulenten Zeiten das finanzielle Risiko tragen?
Auch außerhalb Deutschlands kämpft die Szene ums Überleben. Die UK-Kampagne „The Last Night Out“ prophezeit das Ende der Nachtclubs im Vereinigten Königreich bis 2029.
Selbst internationale Festivals haben in diesem Jahr ihre Community um finanzielle Unterstützung gebeten, um ihre Arbeit weiterführen zu können. Die Herausforderungen sind überall spürbar – The struggle is real.
Clubkultur schiebt Krise
Veranstalter*innen schildern eine Situation, in der sie von multiplen Krisen gleichzeitig gebeutelt werden: Gestiegene Betriebskosten, strengere gesetzliche Auflagen und ein verändertes Ausgehverhalten, denn aufgrund steigender Kosten gehen viele Menschen seltener aus. Die meisten Haushalte haben weniger Geld zur Verfügung und können sich somit die gestiegenen Eintritts- und Getränkepreise nicht mehr in gewohnter Häufigkeit leisten.
Die Gen Z zeigt grundsätzlich wenig Interesse am Ausgehen. Für viele ist das Nachtleben kein zentraler Bestandteil ihrer Freizeitgestaltung. Diese Entwicklungen stellen Clubs vor die Herausforderung, neue Wege zu finden, um ihre Relevanz in einer sich wandelnden Gesellschaft zu bewahren.
Status: Es ist kompliziert
Die Relevanz der Clubkultur steht jedoch in direkter Verbindung mit dem Streben um die Anerkennung von Clubs als Kultstätten. Dabei sind mit der Initiative „Clubs are Culture“ bereits bedeutende Fortschritte erzielt worden. Ein Meilenstein war das Berghain-Urteil, das DJ-Kultur offiziell als kulturelle Leistung anerkannte und damit den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 % ermöglichte. Auch die Anpassung der Baunutzungsverordnung, die Musikclubs aus der Kategorie „Vergnügungsstätten“ – wie Bordelle – herauslöste, war ein wichtiger Erfolg. Zwar sind Clubs noch nicht gleichgestellt mit „Hochkultur”, doch die Tendenz zeigt, dass der kulturelle Wert von Clubs zunehmend ernster genommen wird.
Dennoch bleibt die Frage, wie wir als Gesellschaft den kulturellen Wert von Clubbetrieben bewerten und erhalten wollen. Über die kulturelle Relevanz wird auch innerhalb der Szene gestritten. Dies verdeutlicht das ZDF – unbubble Interview mit “The Clubmap“-Gründer Jens Schwan und Marcel Weber aus dem Vostand der Berliner Clubcommission. Weber benötigt viel Argumentationsstärke, um Schwan vom kulturellen und demokratischen Mehrwert eines Clubbetriebs zu überzeugen.
Weber bestätigt gegenüber dem ZDF zudem, dass „Clubsterben“ durchaus die treffende Beschreibung für das ist, was derzeit geschieht.
Clubkultur als emanzipatorische Praxis – ein persönlicher Blick
Für mich macht Clubkultur nicht nur als politische Praxis Sinn, sondern agiert auch als kulturelle Gegenbewegung, denn sie empowert Menschen, schafft Räume der Subversion und ermöglicht es, neue Lösungsansätze zu entwickeln. Sie ist ein Experimentierfeld für DIY-Ideen und Utopien – ein Ort, an dem nachhaltige und technische Lösungen für aktuelle Probleme entstehen können. Für meine Bubble und mich ist Clubkultur mehr als temporärer Eskapismus aus einer Gesellschaft, die eigentlich ganz anders aussieht. Clubkultur ist unser Arbeitsplatz – ein Arbeitsplatz, den wir nicht nur aus existenziellen Gründen erhalten wollen.
Clubkultur ist rettenswert, denn sie entspringt einer emanzipatorischen Subkultur. Sie steht für gesellschaftliche Gegenentwürfe, das Streben nach politischen Veränderungen, die Aneignung von Räumen und die Stärkung von Communities.
Clubkultur ist sinnvoll, weil sie in die Gesellschaft hineinwirkt und echte Veränderungen vorantreibt. Eines dieser nachhaltigen und sinnhaften Projekte, an denen ich selbst mitwirken durfte und das repräsentativ dafür ist, was mit Liebe und aus Überzeugung möglich ist, ist Clubtopia. Die Initiative für grüne Clubkultur ist ein Kooperationsprojekt des BUND Berlin e.V., des clubliebe e.V. sowie der Clubcommission Berlin und der LiveMusikKommission e.V.
Clubtopia hat Clubkulturbetriebe und Partygänger*innen in Sachen Nachhaltigkeit beraten und Wissen zu Nachhaltigkeitsthemen im Veranstaltungsbereich vermittelt. Der Wissenstransfer erfolgte über die unterschiedlichsten Formate wie Workshops, dem Green Club Guide oder dem Code of Conduct. Auch über die unterschiedlichen Netzwerkveranstaltungen hinaus hat Clubtopia bewiesen, dass eine nachhaltige Clubkultur möglich ist.
Zu den nachweislichen Erfolgen gehören über 40 kostenlose Energieberatungen, gut besuchte und kostenlose Netzwerkveranstaltungen wie das Future Party Lab sowie rund 20 Unterzeichner*innen des Code of Conduct in Berlin. Der Code of Conduct hilft Clubs, ein eigenes Nachhaltigkeitskonzept zu entwickeln. Zu den Unterzeichnenden in Berlin zählen u.a. das SO36, Ritter Butzke,Tresor und SchwuZ – bundesweit sind es etwa 80 Clubs und rund 25 Festivals wie die Wilde Möhre, das Feel oder Modular Festival.
Für so viel Engagement wurde Clubtopia u.a. mit dem Brighter Future Award sowie dem Listen to Berlin Award ausgezeichnet und hat den Preis der Creative Citys Challenge gewonnen. Aller Auszeichnungen zum Trotz und ungeachtet des gesellschaftlichen Mehrwerts wird die Arbeit der Initiative nun durch die Streichung ihrer Fördermittel bedroht. Dies ist ein Rückschritt für Kultur und Klimaschutz.
Soll’s das jetzt gewesen sein? Ich habe das traurige Vergnügen, auf einer der letzten Veranstaltungen der Initiative als Expertin sprechen zu dürfen. Auf dem „Markt der Ideen“ treffe ich Konstanze Meyer, eine der Initiator*innen der Initiative. Mit Empörung, aber auch viel Wehmut in der Stimme bringt sie auf den Punkt, was nicht nur Clubtopia, sondern die gesamte Clubwelt frustriert: „Es macht mich wütend, dass Arbeit und Erfolge, die oft von Ehrenamt und Engagement getragen wurden, nun infrage gestellt werden.”
Diese Infragestellung und die damit einhergehende fehlende Würdigung zeigt aber auch, wie wichtig es ist, den Fokus auf das Erreichte zu legen und gemeinschatftlich zu agieren. Nur gemeinsam können wir nachhaltige Konzepte erfolgreich umsetzen und sicherstellen, dass zukunftsweisende Initiativen wie Clubtopia weiterhin bestehen können.
Die „Night Time Strategy“ in Berlin könnte so ein Ansatz sein, Synergien zu bündeln. Die Strategie, die auch in London implementiert wurde, gibt umsetzbare Empfehlungen, die darauf abzielen, Vielfalt zu fördern, nachhaltigen Tourismus zu stärken und Verwaltungsprozesse zu optimieren. Die politische und wirtschaftliche Bedeutung der Nachtwirtschaft in Berlin bleibt unbestritten. Sie schafft Arbeitsplätze, fördert den Tourismus und bildet zugleich ein kreatives Labor, in dem innovative Lösungen entstehen. Ein klimafreundlicher Lebensstil und eine Kultur des Klimaschutzes sind kein Widerspruch. Im Gegenteil: Nachtwirtschaft und Nachhaltigkeit könnten wegweisend sein und auch als Modell für andere Städte dienen.
Das Jahr 2024 war ein Jahr zwischen Hoffnung und Realität. Vielleicht stand der “Tag der Clubkultur” deshalb auch unter dem Motto: “Beyond Tomorrow: Remaining Hopeful in Chaos“. Wie wir die Hoffnung bewahren können, ist eine Frage, die uns sicher auch noch in 2025 beschäftigen wird.
Also: Tanzt so lange ihr noch könnt, denkt politisch und handelt nachhaltig. Gemeinsam können wir die Clubkultur und all das Wundervolle, was aus ihr entstanden ist, bewahren.
Silent Night… For Club Culture
In 2024, club culture stumbles on, caught between hope and collapse. The drama has been unfolding in three acts: first, the pandemic; then, the economic crisis; and now, the brutal gut-punch of major funding cuts. This latest blow doesn’t just hit event organizers hard—it’s a direct hit on those fighting for inclusive, accessible, and sustainable nightlife. One such initiative is Clubtopia, now falling victim to the axe. A heartbreaking example of how the most forward-thinking parts of club culture are the first to go.
For the scene as a whole, the financial struggles are so dire that one question looms large: are we witnessing the final dance of club culture?
2024: More Dystopia Than Utopia
As 2024 wraps up, Berlin’s iconic Watergate will shut its doors. Before that, Renate had already announced it’s closing at the end of next year—just like Hamburg’s legendary Mojo. Leipzig’s Distillery, once the oldest techno club in East Germany, bowed out in May 2023.
This isn’t just a Berlin problem; it’s a symptom of the greater crisis in club culture. According to the German Music Venues Association, new club openings have plummeted since 2021, and many clubs can’t find successors. Who’s willing to take on such massive financial risks in these volatile times?
The struggle isn’t just in Germany. The UK campaign “The Last Night Out” predicts the extinction of nightclubs in the UK by 2029. Even international festivals this year turned to their communities for financial support just to stay afloat. The challenges are global—the struggle is real.
Crisis Mode
Event organizers are feeling the heat from all directions: rising operational costs, stricter regulations, and shifts in nightlife behavior. With skyrocketing prices, many people are going out less often. Most households simply can’t afford higher entry fees and drink prices as regularly as before.
And Gen Z? They’re just not that into going out. For many, nightlife isn’t central to their social lives. These shifts force clubs to rethink their relevance in a changing society.
Status: Complicated
The importance of club culture is tied directly to its fight for recognition as a legitimate cultural institution. Big strides have been made with the „Clubs are Culture“ initiative. The landmark Berghain ruling, which recognized DJ culture as a cultural art form, paved the way for a reduced VAT rate of 7%. Similarly, changes to building codes that removed clubs from the same zoning category as brothels were a major win.
But clubs are still not treated like “high culture.” The question remains: as a society, how do we value and preserve club culture? Even within the scene, opinions differ. In a ZDF unbubble interview, Jens Schwan of „The Clubmap“ and Marcel Weber from the Berlin Clubcommission debated club culture’s cultural and democratic significance. Weber had to argue hard to convince Schwan that clubs offer more than just escapism.
Weber even confirmed to ZDF that the term “club dying” perfectly sums up what’s happening right now.
Club Culture as Empowerment: A Personal Take
For me, club culture isn’t just a political practice—it’s a cultural counter-movement. It empowers people, creates spaces for subversion, and offers room to explore new solutions. It’s a playground for DIY ideas and utopias—a space where sustainable and innovative solutions can emerge.
For my circle and me, club culture is more than a temporary escape from a society we wish looked different. It’s our workplace—a workplace we want to preserve, not just for existential reasons, but because it’s worth it.
Club culture stems from an emancipatory subculture. It represents alternative ways of living, political change, reclaiming spaces, and strengthening communities. It’s meaningful because it impacts society and drives real change.
One project that embodies this ethos is Clubtopia, an initiative I was proud to contribute to. Clubtopia, a collaboration between BUND Berlin e.V., clubliebe e.V., and the Berlin Clubcommission, worked to promote sustainability in nightlife. From workshops and the Green Club Guide to the Code of Conduct, Clubtopia showed that sustainable club culture isn’t just possible—it’s already happening.
Despite its successes, including free energy consultations, popular events like the Future Party Lab, and sustainability commitments from over 80 clubs and 25 festivals, Clubtopia is now on the chopping block due to funding cuts.
This isn’t just a step back for culture—it’s a loss for climate action, too.
So, Is This It?
I had the bittersweet honor of speaking at one of Clubtopia’s final events. There, Konstanze Meyer, one of its initiators, summed up the frustration perfectly: “It makes me furious that so much work and success—often driven by volunteer efforts—are now being called into question.”
Her words highlight the importance of focusing on what’s been achieved and working together to ensure forward-thinking initiatives like Clubtopia don’t disappear.
Berlin’s Night Time Strategy could be part of the solution. Similar to London’s, it aims to foster diversity, promote sustainable tourism, and streamline bureaucracy. The nighttime economy creates jobs, boosts tourism, and acts as a creative lab for innovative solutions. Nightlife and sustainability aren’t contradictions—they’re a blueprint for the future.
2024 has been a year of hope and hard truths. Maybe that’s why the “Day of Club Culture” carried the theme: “Beyond Tomorrow: Remaining Hopeful in Chaos.”
So, dance while you can. Stay political. Act sustainably. Together, we can preserve club culture and everything it represents.